Aus der Forschung für die Praxis – Visuelle Strategien für schulisches Lernen

Das Format gemeinsamer Fortbildungsveranstaltungen der Fachverbände BDH (Berufsverband Deutscher Hörgeschädigtenpädagogen) und DFGS (Deutscher Fachverband für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik) hatte sich in der Vergangenheit für Lehrkräfte bewährt und ist am 14. April 2023 in die dritte Runde gegangen.

Die diesjährigen Referent:innen hatten es bis zur Aula der Elbschule nicht weit. Dr. Iris Wagener und Christian Borgwardt sind hier auch als Lehrkräfte tätig und Prof. Dr. Barbara Hänel-Faulhaber sowie Viktor Werner von der Universität Hamburg sind häufig zu Gast.

Zu ihrem Vortragsthema „Aktuelle Forschungserkenntnisse zum Lernverhalten von tauben und hörbehinderten Kindern“ hatten sich rund 60 Lehrkräfte aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen eingefunden. Mittels der Abfolge von Input im Plenum und anschließenden Workshops konnte in gelungener Weise der Bogen von der Forschung in die Unterrichtspraxis geschlagen werden.

In ihrem Vortrag beschäftigte sich Barbara Hänel-Faulhaber mit den kognitiven Lernstilen tauber und hörbehinderter Kinder. Sie ging der Frage nach, welche Bedeutung das implizite (unbewusste, spielerisch-mühelose) Lernen in den frühen Lebensjahren für das explizite (geplante und bewusste) Lernen in der Schule habe. Eine interdisziplinäre Studie unter der Leitung von Hänel-Faulhaber untersuchte in diesem Kontext das Lernverhalten von native signers (Menschen, die mit der Muttersprache DGS aufgewachsen sind) und late signers (Menschen mit später erworbenen DGS – Kenntnissen). Die native signers konnten effektiven Wissenstransfer als Kennzeichen für erfolgreiche Lernprozesse bereits im 1. Schuljahr einbringen und unterschieden sich damit nicht von gleichaltrigen hörenden Kindern. In einer weiteren kleinen Teilstichprobe konnte gezeigt werden, dass die Gruppe der late signers diese Kompetenz zwar ein Jahr später entwickelte, dabei aber hinter der Gruppe der gleichaltrigen native signers zurück blieb.

Wenn der frühe Sprachzugang tauber und hörbehinderter Kinder also den Unterschied für einen effektiven Wissenszuwachs ausmache, stellt sich die Frage nach möglichen Konsequenzen für den Unterricht. Welche Ressource könnte die stärkere Berücksichtigung visueller Strategien für das schulische Lernen bereithalten?

Dieser Aspekt wurde in den anschließenden Workshops aufgegriffen und in seiner Relevanz für das mathematische und schriftsprachliche Lernen tauber und hörbehinderter Schüler:innen vertieft.

Viktor Werner untersucht an der Universität Hamburg die mathematischen Basiskompetenzen bei tauben und hörbehinderten Kindern (Projekt MaBaKo-Deaf). Sein Fokus liegt auf einem Vergleich von Mustererkennungs- und Strukturierungsfähigkeiten als mathematische Vorläuferkompetenzen bei Kindern mit und ohne Hörbeeinträchtigung.
Werner präsentierte im Workshop die von ihm visuell-adaptierten Unterrichtsmaterialien zur Unterstützung der mathematischen Denkentwicklung. Die ansprechenden Materialien und Aufgabenstellungen konnten vor Ort erprobt und „begriffen“ werden.

Die spannende Frage nach einer möglichen Relation zwischen dem Erlernen von Muster- und Buchstabenfolgen im Fingeralphabet bleibt zu erforschen. Sie leitet direkt zum Thema des Workshops von Dr. Iris Wagener und Christian Borgwardt über. In deren „Ansatz für eine visuell-systematische Methodik im Schriftspracherwerb mit Schüler:innen im FS Hören & Kommunikation“ wurde die Rolle des Fingeralphabets für die Wortschatzentwicklung in der Schriftsprache herausgearbeitet. Internationale Studien belegen das erfolgreiche Abrufen schwieriger Schreibweisen und unbekannter Wörter, wenn diese als lexikalisch „gefingerte“ Einheiten abgespeichert worden sind.
Anhand von Unterrichtsbeobachtungen identifizierten Wagener und Borgwardt unterschiedliche Entwicklungsphasen des Wörterlernens mit dem Fingeralphabet und stellten ihren Ansatz für einen verstärkten Einsatz des Fingeralphabets im Unterricht zur Diskussion. Mit breiter Zustimmung folgten die Teilnehmenden diesem Plädoyer, das auch für den Grundschulunterricht und die Frühförderung wichtige Denkanstöße liefern konnte.

Herzlicher Dank gebührt sowohl den Referent:innen als auch den Organisatorinnen von BDH und DFGS Kirsten Cramer, Christiane Garvs, Anna Pettke und Bettina Rörig. Wir freuen uns auf eine Fortsetzung des Formats im kommenden Jahr.

Karin Perwo-Aßmann