„Einmal gesehen ist gesehen“ – Berührende World Press Photo Ausstellung

Bereits zum zweiten Mal zeigte das Altonaer Museum im September / Oktober 2023 die mit dem World Press Photo Award ausgezeichneten internationalen Pressefotografien. „Die Themen des größten und renommiertesten Wettbewerbs dieser Art reichen von der Dokumentation politischer Auseinandersetzungen über die fotografische Schilderung von Umweltproblemen bis zu Reportagen aus dem Alltagsleben unterschiedlicher Gesellschaften“ (Altonaer Museum).

Die großformatigen Fotos in der Säulenhalle des Museums verstören, schockieren oder aber sie täuschen auf den ersten Blick eine heile Welt vor: Wartet die junge Iranerin in westlicher Kleidung auf dem Foto von Ahmad Halabisaz auf einen Latte Macchiato? Die verschleierten Frauen im Hintergrund unterstreichen den Kontrast, sodass auf den zweiten Blick der stumme Protest dieser mutigen Frau laut wird: Die junge Generation iranischer Frauen will kein Kopftuch mehr tragen müssen!

Die Klasse 9c der Elbschule mit Klassenlehrer Sebastian Hüer sowie die Klasse 10a1 mit Lena Lammers waren der Einladung des Museumsdienstes zu einem Dialogischen Rundgang durch die Ausstellung gefolgt. Christian Kintz, selbst Künstler, traf den richtigen Ton, um die Jugendlichen für die Bedeutung der Pressefreiheit zu sensibilisieren und sie zu kritischer Bildbetrachtung aufzufordern. Informationen in den Medien sollen der Wahrheit entsprechen und keine Fake News sein, dabei sei „ein Foto ist ein eingefrorener Moment, der zur Wahrheit wird“, sagte Kintz. Es sei jedoch eventuell nicht die einzige Wahrheit und Objektivität ließe sich nur schwer überprüfen.

Das Foto von Jonathan Fontaine wird zunächst als schönes Bild beschrieben: Eine rot verschleierte Frau sitzt im Vordergrund und blickt auf viele bunte Farbflecken in der Wüste, die bei genauer Betrachtung als Zelte identifiziert werden können. Erst der Titel „Die letzte Reise der Nomadin“ und der zugehörige Begleittext erzählen die menschliche Tragödie hinter diesem Bild. Ehemalige Nomaden mit reichem Besitz an Kamelen und Ziegen sind verarmt und zu Klimaflüchtlingen geworden, weil ihr Vieh in der anhaltenden Dürre verdurstet war.

Die Jugendlichen gingen nach dieser Einführung allein oder zu zweit durch die Ausstellung und sollten im Anschluss von besonders eindringlichen Impressionen berichten. Oftmals fehlten ihnen Worte für den Schmerz, den das Betrachten einiger Fotos auslöste und so blieb ihnen „krass“ als Ausdruck für ihr Erschrecken und ihre Sprachlosigkeit.

Kintz hatte mehrfach betont, dass ein individueller Rückzug bei psychischer Belastung durch die zum Teil brutal offenen Fotos jederzeit möglich sei, denn „einmal gesehen ist gesehen. Man kriegt den Scheiß nicht aus der Seele.“

Das Foto von Evgeniy Maloletka „Luftangriff auf Geburtsklinik in Mariupol“ hatte 2022 globalen Bekanntheitsgrad erlangt und tiefes Entsetzen ausgelöst. Es wurde als Pressebild des Jahres ausgezeichnet und auch in der Schülergruppe als besonders „krass“ bewertet, „weil sie schwanger war und die Entbindungsstation beschossen wurde.“  Christian Kintz nahm dieses Bild als Aufhänger für die Frage nach einer Grenze dessen, was gezeigt werden solle. Sei bei diesem Bild eine ethische Grenze überschritten, weil die abgebildete Schwangere kurz danach verstorben war und kein Einverständnis mehr zur Veröffentlichung des Bildes eingeholt werden konnte? Markus (15 J.) war der Meinung, dass „solche Bilder gerade deshalb gezeigt werden sollten, damit wir uns eine Meinung bilden können“ und auf das Leid aufmerksam werden. Der gleichaltrige Jurij schloss sich an: „Die Leute sollen wach werden!“

Die Ausstellung ist keine leichte Kost und doch zur politischen Meinungsbildung immens wichtig. Dank der einfühlsamen Gesprächsführung von Christian Kintz haben die Elbschüler:innen davon mit Sicherheit profitieren können.

 

Karin Perwo-Aßmann